Zur Idee des Komplexen in den Federzeichnungen von Kim Kraska
Welche Rolle spielt der Betrachter für das Kunstwerk? Diese Frage ist in der Kunstphilosophie umstritten: Braucht das Werk den Betrachter, um überhaupt existieren zu können, oder hat es allein seine Berechtigung in der Symbiose mit dem Künstler? Soviel ist sicher: Die Zeichnungen von Kim Kraska lassen es nicht zu, den Betrachter tatenlos in die Beobachterrolle zu drängen. Komplexe Strukturen, die auf den ersten Blick eine einzige Figur, ein vollkommenes Ganzes zu sein scheinen, zerfallen bei näherer Betrachtung unaufhaltsam in ihre Details, um sich schließlich wieder und wieder zu immer neuen Symbolen zusammenzufügen. Bildbetrachtung bedeutet hier zugleich auch Bildkomposition. Der Betrachter ist gefordert sich einzulassen auf eine Komplexität, die gerade in der Reduktion auf ihre Details ständig neue Möglichkeiten des Suchen, Finden und Werden offerieren. Dass nicht nur Phantasie, sondern auch Persönlichkeit für den vom Betrachter ausgeführten Prozess des Kreierens benötigt werden, zeigt darüber die ungeheure Lebendigkeit und Lebens nähe der Künstlerin zu der sie umgebenden Umwelt. Sich ihr zu stellen und mit ihr zu formen, bleibt die zentrale Aufgabe des Betrachters in der Welt dieser Fabelwesen.
Daniel Schubbe